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Dichtervernichtung im Volkstheater
Drinnen vor der Tür: Wolfgang Bauers Dramatiker-Drama "Foyer" in Graz uraufgeführt


Wolfgang Bauer war schon 1968, was man heute einen Popliteraten nennt. Aus dem Bauch heraus und fertig. Nur ging der Grazer Dramatiker nicht weich und dandyhaft ans Werk, sondern packte sein Leben zwischen Alkohol, Drogen, Langeweile und Gewalttätigkeit exzessiv und ohne Rücksicht auf Verluste in seine Stücke. Das Triviale mischte er mit Surrealem, die Trägheit mit Blödsinn. Und gern ließ sich das Publikum von diesem Antiachtundsechziger provozieren: Mit "Magic Afternoon", "Change" und "Gespenster" wurde er ein überaus erfolgreicher Skandalautor. Nun hat sich Magic Wolfi, inzwischen dreiundsechzig Jahre alt, wieder aufgeschwungen zu einem Stück aus seiner Welt: über den siebzig Jahre alten Dichter Dr. Charlie Dodler, der zur Uraufführung seines autobiographischen Stücks "Mein tolldreistes Leben" ins Theater kommt, aber nicht hinein darf, weil die Kassenfrau seine Karte nicht findet und ein sturer Billeteur den Autor ignoriert.

So muß Dodler draußen im Foyer bleiben und kann, wenn immer wieder Gedröhn und Gejohle herausdringen, nur erahnen, daß drinnen im Theater kaum mehr das gespielt wird, was er geschrieben hat. Der ruhmsüchtige Theatertraum verwandelt sich für den ausgesperrten Dichter in einen Albtraum: Darin scheint der Regisseur Dodlers dramatisierte Biographie kräftig mit gerade aktuellem Trash angereichert zu haben, mit Karl Moiks Musikantenstadl und mit Edward Albees Ziegenbock, mit dem es auf der Bühne Dodlers Frau treibt. Als diese danach tatsächlich halbnackt erhitzt ins Foyer kommt, sind Theater und Wirklichkeit, Dichtung und Wahrheit endgültig nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Die Komödie wird zur tragischen Farce.

Daß Bauers "Foyer", ein Auftragswerk des Kunstfestivals "Steirischer Herbst", nun in Graz von der Off-Theatergruppe "Theater im Bahnhof" uraufgeführt wurde, tut dem melodramatisch und üppig daherkommenden Bühnenwerk des barocken Banalphilosophen Wolfgang Bauer erfrischend gut. Die "Theater im Bahnhof"-Mimen, ursprünglich Laien, sind mit ihrer schrill-lakonischen szenischen Handschrift schon längst zu einer österreichischen Legende geworden. Und erst einmal verpassen sie auch Bauers fetten Kalauern und seinem antiintellektuellen "Darm-Realismus" - mit diesem bezeichnet der Theaterkritiker im Stück Dodlers Werk - eine ungewohnt minimalistische Härte. So hager und konzentriert sah man ein Bauer-Stück noch selten.

Lorenz Kabas gibt mit x-beinigen Slapsticks den arg verklemmten Tölpel Dodler, der zappelnd und zerzaust sein Ich verliert. Den drallen Kontrast zu diesem weltfremden und entgeisterten Künstler-Würstel bieten Kassiererin und Garderobiere, zwei lüsterne Weibsteufel; und auch Dodlers Frau Renate, mit festem Stöckelschuhtritt und quellendem Bauchspeck zwischen Slip und BH über die Bühne trampelnd, schildert in der Gestalt Eva Maria Hofers vulgäres Leben pur. Und wenn dann noch der schlurfende Rupert M. Lehofer im Schlabber-Pyjama den feisten Theaterkritiker Otto Sammler karikiert, ist das alles ein volkstümliches Lustspiel für städtische Kulturseitenleser. Und herzlich grüßt die rurale und nach Stallmist riechende Löwingerbühne den Popdramatiker Wolfgang Bauer. Zur Bagage gehört auch noch der Regisseur Pieter van Mief, gespielt von Robert Kouba, ein theaterüblicher Regietheaterdiktator, der Dodlers Stück um jeden Preis den "Denkgestank" ersparen will, denn wenn "die Leute zuviel nachdenken, beginnen sie zu stinken".

Zwischendurch hat es in der Grazer Helmut-List-Halle doch ein bißchen gestunken, ob die beiden Regisseurinnen Monika Klengel und Johanna Hierzegger das nun beabsichtigten oder nicht. Aber ein grandioses Panoptikum half der Inszenierung noch einmal über die Runden: Als sich die extrem lange Cinemascopebühne, auf der sich die tolldreisten "Foyer"-Possen von drei rot gepolsterten Theatertüren über einen nüchternen Toilettengang bis zur holzgetäfelten Bar hinzogen, dicht mit dem irrwitzig grellen Pausenpublikum des Dodler-Stücks füllte, verwandelte sich dieses lustwandelnde, murmelnde und gestikulierende Theatervölkchen unversehens in eine "Hurra!" schreiende, böse Meute.

Und man vermeinte geradezu ein Gemälde wie von Hieronymus Bosch auf der Bühne zu sehen: eine bizarre Traumwelt, eine Versammlung von Wüstlingen und Lüstlingen, Neurotikern und gequälten Menschen, eine Höllenvision. Ein eindrucksvolles Volkstheatertableau, das leider noch durch ein paar plumpe, allerdings finale und letale Action-Kurven sich lavierte, die den Fluß des Witzes dann doch noch ziemlich hemmten. Wobei ein martialisch auftretender Präsident Bush zusammen mit Dodler sich einer Ich-Transplantation zu unterziehen hatte, bei der das Hirn auch blutig tropfte. Da war\'s dann leider wieder nur noch platt. Und im Finale mähte der Terrorist Charlie Dodler sein Publikum auch noch mit einer Maschinenpistole nieder und endete selbst per Sprenggürtel. Zuviel des Guten. Gedämpfter Applaus.

ERNA LACKNER

erschienen in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2004