pressespiegel
                              kontakt
                akkreditierung
                pressephotos
             presseverteiler
Der Newsletter ist auf der aktuellen Webseite verfügbar.
Die Suche ist auf der aktuellen Webseite verfügbar.
english

<<  zurück

Steirischer Herbst: Wer kann, der schreibt
"Junk space" von Kathrin Röggla und "Nach dem glücklichen Tag" von Gerhild Steinbuch: zwei recht sehenswerte Uraufführungen in Graz.


Das angelsächsische Creative Writing setzt sich auch bei uns immer mehr durch. Junge Autoren schreiben nach Anleitung well- made plays, kooperieren kollegial, stellen ihre Texte auch in großen Institutionen vor. Die Burg veranstaltete Werkstatt-Tage, der "steirische herbst" präsentierte am Wochenende zwei Dramen: "junk space" von der bereits etablierten Salzburgerin Kathrin Röggla, ein "herbst"-Auftragswerk und eine Koproduktion mit dem Züricher Theater am Neumarkt. Noch ganz neu und jung ist die 1983 in Mödling/NÖ geborene Gerhild Steinbuch, deren Stück "Nach dem glücklichen Tag" sich der Grazer Schauspieldirektor Matthias Fontheim persönlich vornahm.
Das angelsächsische Creative Writing setzt sich auch bei uns immer mehr durch. Junge Autoren schreiben nach Anleitung well- made plays, kooperieren kollegial, stellen ihre Texte auch in großen Institutionen vor. Die Burg veranstaltete Werkstatt-Tage, der "steirische herbst" präsentierte am Wochenende zwei Dramen: "junk space" von der bereits etablierten Salzburgerin Kathrin Röggla, ein "herbst"-Auftragswerk und eine Koproduktion mit dem Züricher Theater am Neumarkt. Noch ganz neu und jung ist die 1983 in Mödling/NÖ geborene Gerhild Steinbuch, deren Stück "Nach dem glücklichen Tag" sich der Grazer Schauspieldirektor Matthias Fontheim persönlich vornahm.
"Space junk" ist Weltraum-Müll. Architekt Rem Koolhaas drehte das Wort um zu "junk space" und bezeichnete damit banale Orte wie Shopping Malls, Büros, Fußgängerzonen. Büromenschen sind es, die Röggla aufeinander prallen lässt bei einem Seminar zum Abgewöhnen von Flugangst. Sie platziert ihre Figuren in ein grotesk-pirandelleskes Ambiente: Der tyrannische Trainer taucht in dem hermetischen Kellergewölbe, bespielt mit Flug-Geräuschen, nicht auf.

Hinz und Kunz bzw. Schneider, Schneyder und Schulze wickeln also für sich und miteinander ihre Psychodramen ab. Tina Lanik hat inszeniert und sie hat das Wichtigste zur Verfügung, was man für dieses Labor-Spiel braucht: absolut plausible Typen.

Lanik denunziert diese Leute nicht, sie stellt sie einfach aus: Herrn und Frau Schulze, die Mediatoren des abwesenden Gurus Herrn Klose, zwei gelackte Grinse-Affen, die immer auf der richtigen Seite stehen (Joanna Kitzl, Christoph Rath). Mit der Entlassung des weiblichen Personals einer Drogerie-Kette hat sich Herr Schneyder (René Schnoz) seine ersten Sporen im Rationalisierungs-Business erworben, die seidige Brutalität ist ihm geblieben. Als direkt Betroffene haben Schmidt (Eduard Wildner) und Schorf (Leopold von Verschuer) die Verliererstraße kennen gelernt. Schmidt leidet an Burn-out, Schorf versucht seine Verschleiß-Erscheinungen durch 150-Prozent-Einsatz zu bemänteln. Die blonde Frau Schmidt (Meret Hottinger) hingegen ist fest überzeugt, mit ihrer scharfen Zunge alles und alle im Griff zu haben, auch Frau Schneider, das ewige Opfer; Birgit Stöger, sanftmütig, leicht verdreht, überzeugt am stärksten von allen. Die beste Szene ist jene, wenn sich Schorf über Frau Schneider hermacht, Lanik erfand dafür eine einmalige Pantomime zum Thema Quickie im Büro.

Die Aufführung im Kristallwerk, außerhalb des Grazer Zentrum gelegen, ist etwas zu lang, der Text manchmal geschwätzig. Nicht alle Betrachtungen Rögglas sind gleich originell, manche vermeint man schon in Ratgebern gelesen zu haben. Das viele Gerede ist auch mitunter allzu statisch in Szene gesetzt. Wo Albert Ostermaiers "Letzter Aufruf" - 2002 auf der Burg-Probebühne im Arsenal zu sehen - mit schillernder Surrealität punktete, bildet "junk space" ziemlich plan die Wirklichkeit ab. Diese Bodenhaftung ist aber auch ein Vorteil. Was hier vorgeht ist für jedermann nachvollziehbar.

Die Zelebrierung eines Rätsels erlebte man dafür bei Gerhild Steinbuchs "Nach dem glücklichen Tag" auf der Probebühne des Schauspielhauses. Dabei ist der Plot simpel, er ließe sich auf die Yellow-Press-Schlagzeile "Hilfe, meine Mutter hat mir meinen Freund ausgespannt!" reduzieren.

Ein junges Paar besucht die Mutter des Mädchens, eine herbe Alt-Hippie-Dame (grandios: Friederike Bellstedt), die, möglicherweise krank (Aids?) in einem verfallenen Haus einsam lebt, den Burschen Paul (Thomas Prazak), der nicht recht weiß, wohin mit sich, in ihr Netz lockt - und hernach wieder abstößt; während das Mädchen Marie (Natascha Shah) buchstäblich auf Glasscherben stehend verfällt. Steinbuch orientiert sich an der früh verstorbenen britischen Depressions-Spezialistin Sarah Kane, vielleicht auch an Jon Fosse. Von fern erinnert der Text an die mystisch-märchenhaft-psychoanalytischen Schichtungen in Strindbergs "Nach Damaskus". Fontheim ließ dem Stück das fluktuierend Traumverlorene, fasste es aber zu unsinnlich an.

Seine Kraft dank Zeitnähe hat das aktuelle Drama erneut bewiesen, aber auch seine Schwäche: Heute akklamiert, morgen vergessen. Wie die Schwammerln schießen sie aus dem Boden, die Stücke. Lyrisch, trashig, brachial; Drama light, McDrama usw.

Barbara Petsch

erschienen in:
Die Presse, 02. 11. 2004