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Steirischer Herbst: Die fünfte Jahreszeit
Der steirische herbst dauert nur einen Monat lang. Doch "hierzulande wird schon das ganze Jahr über experimentiert", sagt Festival-Präsident Jungwirth zufrieden.
Der steirische herbst versucht, in der Krise zu erblühen.


Was die einen zur begeisterten Ekstase bringt, langweilt andere tödlich und umgekehrt." Kurt Jungwirth ist sich der Problematik eines Kulturfestivals und der Kultur im Allgemeinen bewusst. Doch für den Präsidenten des steirischen herbstes 2004 und seine Programmmacher "ist das eine gewaltige Hürde, der sie sich stellen müssen", wie er es selbst ausdrückt. Am Donnerstagabend eröffnete sich der steirische herbst in der Grazer Helmut-List-Halle. "Ich behaupte, das Festival ist jedes Jahr von neuem nicht austauschbar. Es ist nicht in Versuchung geraten, wie so viele andere, ein bloßes Einkaufsfestival zu werden. Dazu hätte es ohnehin nie genug Geld gehabt", begann Jungwirth seine Eröffnungsrede.

Seine Einzigartigkeit versucht der steirische herbst heuer unter dem von Intendant Peter Oswald vorgeschlagenen und umgesetzten Motto "Krise ist immer" unter Beweis zu stellen. Der steirische herbst wolle auch im Jahr 2004 als österreichisches Festival der Neuen Kunst explizit als Aufbruch verstanden sein, "als künstlerische Expedition mit kontroversiellen Krisenbeschreibungen", erklärt der Intendant. Seinen heurigen "herbst-Gedanken" formuliert er so: "Wir wollen mit den künstlerischen Projekten dem Phänomen der Krise in ihren vielfältigen Ausformungen nachspüren. Der Sache auf den Grund gehen. Die Krise an der Wurzel packen." Und dazu komme er nun einmal nicht darum herum, "auch radikal zu sein und zu denken". Und so offeriert das herbst-Programm heuer in Theatern, Galerien und in der freien Natur krisenhafte Szenarien: "Begleiten Sie uns durch die vibrierende Szene der Bildenden Kunst, kommen Sie mit in das Kunsthaus, die Neue Galerie, den Kunstverein, die Camera Austria, das Forum Stadtpark", lud der Intendant am Donnerstag in seiner Eröffnungsrede ein. Auch in eine "Art Vorhölle, ein szenisches Purgatorium, eine theatralische Höllenfahrt" will er das Publikum locken - mit dem von Wolfgang Bauer geschriebenen Eröffnungsstück "Foyer". "Nicht ins Höllengebirge geht es dann sonntags, sondern in das Gesäuse, eine der faszinierendsten Regionen unseres Kontinents." Dort erwarte den Zuschauer mit dem Gebirgskrimi von Hans Winkler eine Performance-artige Zeitreise mit Ausblicken, ein legendenumranktes Projekt über gesellschaftliche Außenseiter.

Die Statistik des heurigen Jahres sagt, dass von 7. Oktober bis 7. November 215 Veranstaltungen an 77 Plätzen und Orten in Graz und in der Steiermark über die Bühne gehen werden. "Dem steirischen herbst sind aber nicht Zahlen, sondern Themen und Inhalte wichtig", stellte Präsident Jungwirth im Rahmen der Festivaleröffnung klar. "Er hat nie Jubiläen gefeiert, er hat auch nie versucht, seine junge Geschichte zu schreiben, dafür war kein Geld da, keine Zeit, wohl auch kein Bedürfnis. Seine Programmmacher schauten ja immer nach vorne."

Jungwirth erinnert daran, dass die Anhänger des herbst-Festivals in dessen Anfängen darüber klagten, dass sich einen Monat lang allerhand tue an heftiger Modernität, aber das übrige Jahr kultureller Tiefschlaf herrsche. Einige hätten sogar gemeint, der steirische herbst sei als Alibiveranstaltung geplant: "Einen Monat dürft ihr böse Buben spielen, dann müsst ihr wieder bis zum nächsten Jahr brav sein. Ein ungerechter Vorwurf", weist Jungwirth diesen zum wiederholten Male zurück. Denn: "Wenn es diesen zynischen Plan gegeben hätte, dann wäre er kläglich gescheitert. Inzwischen ist es längst keineswegs unanständig, hierzulande im ganzen übrigen Jahr auch zu experimentieren, sogar im ehrwürdigen Opernhaus", spielt der Festival-Präsident auf die neue Fidelio-Inszenierung an.

Für den Ganzjahresbetrieb könne und wolle der steirische herbst allerdings angesichts der Aufgaben und Voraussetzungen, die er vorfindet, nicht sorgen - oder eben nur indirekt. "Entkoppelung ist notwendig", stellt Jungwirth fest. Schriftsteller Doron Rabinovici, der am Donnerstag ebenfalls als Eröffnungsredner fungierte, nennt den steirischen herbst eine "fünfte Jahreszeit, die in diesem Land regelmäßig und immer wieder aufs Neue erblüht, seit mehr als einem Viertel Jahrhundert, allen Niederschlägen und allem Tiefdruck zum Trotz".

Eröffnungsreden und Programm zeigen: Der steirische herbst versucht, sich dieses Jahr einen Platz zu suchen zwischen Erblühen und Krise. Wobei die beiden hier einander nicht auszuschließen scheinen. Denn Peter Oswald stellt eine unkonventionelle Definition der Krise in den Raum. Er sieht sie als "eminent bedeutsame künstlerische Kategorie. Basis, Quelle, Brennpunkt und Zündstoff für die ästhetische Produktivkraft. Eine Verwandlung und Aufhebung in einen ,anderen Zustand'".

Mit 215 Veranstaltungen hat Oswald heuer viele Chancen, das Publikum in befruchtende Krisen zu versetzen - oder freilich den Zustand der begeisterten Ekstase.

erschienen in:
Die Presse, 08. 10. 2004