pressespiegel
                              kontakt
                akkreditierung
                pressephotos
             presseverteiler
Der Newsletter ist auf der aktuellen Webseite verfügbar.
Die Suche ist auf der aktuellen Webseite verfügbar.
english

<<  zurück

Spieltrieb und Forscherdrang
Das Kunsthaus Graz zeigt in Kooperation mit dem Museum Tinguely in Basel die Schau "Bewegte Teile". Den Besucher erwartet ein anregendes Miteinander verschiedenster Formen des Kinetischen von vorgestern bis heute.


Graz – Wir schreiben das Jahr 1968: Ponthus Hulten hat gerade seine Ausstellung "The Machine" eröffnet. Und damit sein aufwändiges Unterfangen, das mechanische Zeitalter zwecks Grablegung noch einmal zusammenzufassen. Der Untertitel der Schau im New Yorker Museum of Modern Art – "The Machine as seen at the End of the Mechanical Age" – lässt keine Zweifel zu: Die Maschine ist tot. Ab jetzt regiert die Elektronik. Sie wird die Zukunft gestalten, wird, prophezeit Hulten, bis ins Jahr 2000 unser Leben zumindest so grundlegend verändern, dass die 1960er-Jahre ebenso weit weg erscheinen werden, wie das alte Ägypten.

Natürlich hatte er unrecht. Hulten stellte sich den Fortschritt noch linear vor. Als entsprechend kurzlebig erwies sich seine Utopie. Bekanntlich ist seither aber alles komplexer verlaufen, vielgleisig, in die verschiedensten Richtungen. Die New Yorker Ausstellung gilt heute dennoch als legendär. Und: Immer noch beschäftigen "Bewegte Teile" nicht wenige Künstler. Viele Jahrzehnte nach Duchamps Rotoreliefs, Alexander Calders bunten Mobiles und Zirkusartisten, nach Tinguely, Vardanega und Soto wird in den Ateliers immer noch gebastelt, werden Apparaturen konstruiert, um das Erstaunen auszulösen.

Grund genug, erneut eine Sammlung von Formen des Kinetischen anzulegen, Klassiker mit aktuellem Material zu vermischen. Im Grazer Kunsthaus, jenem selbst so verspielten, nur sehr speziell alltagstauglichen blauen Teil, der in den 60ern aufbrach, um jüngst erst in Graz zu landen, ist die vergnügliche Versammlung zu besuchen.

In Kooperation mit dem Museum Tinguely, Basel, wurde, mit Hultens Material als Referenz, ein Panoptikum aufgebaut, das "historische" Apparate (etwa Tinguelys motorgetriebene Philosophen Jean-Jaques Rousseau, Wackernagel und Bergsson aus den 80ern oder Günter Üeckers Sandspirale von 1970) zwanglos mit zeitgenössischem Material mischt. Jepe Heins überraschend losspringender Wild Moving Cube (2004) zeigt, dass der gemeine Überraschungseffekt nichts an seiner Wirksamkeit verloren hat, und ungebrochen regt sich der Spieltrieb, wenn Jason Rhodes zu einer Fahrt im Spaceball lädt. Das Vergnügen macht aber Flecken: Rhodes verlangt, einen Becher mit (veganem) Softeis mit in den heftig rotierenden Simulator für Schwerelosigkeit zu nehmen:

"... flop goes the vegan softsurf." Vielleicht ein Motiv für die dutzenden Paparazzi aus Malachi Farrells Installation Interview: Fest mit einem Absperrgitter verwachsen, blitzen die mechanischen Fotografen, hysterisch um sich blickend, aus ihren Pappendeckelkameras nach allem, was sich bewegt.

Stempelantrag

Der Spielautomat, den Rebecca Horn beigesteuert hat, heißt American Waltz und zeigt ein Paar steppender Highheels, jener von István Haraszty agiert weitaus gemächlicher. Der metallgewordene Beamte verlangt nach der Einführung eines Stempelantrages. Und wie im richtigen Leben auch vergehen quälende Minuten, ehe die Maschine ihren Zweck erfüllt, das Formular abstempelt unddamit bestätigt, dass der Antragsteller auf das Abstempeln gewartet hat.

Anders als im wirklichen Leben ist der Beamte aber transparent, und so wird immerhin nachvollziehbar, was warum so lange dauert. Überhaupt scheint Transparenz eines der Motive, antiquierte Technik anstelle uneinsichtiger, steril korrekt funktionierender Technologie zu verwenden.

Attila Csörgö gelingt es, mithilfe von Schnüren einiger Holzstäbe, ein paar Schrauben und einem Motor ein Visualisierungsmodel der mathematischen Gleichung: 1 Tetraeder + 1 Würfel + 1 Oktaeder = ein Dodekaeder, zu knüpfen. Marionetten gleich formieren sich die Stäbe zunächst zu den drei Grundformen, um anschließend gemeinsam den Dodekaeder zu bilden.

Subversion durch simple Mechanik kommt etwa von Roman Signer oder Paul McCarthy. Signers Tisch mit Ventilator zeigt, dass bloß die Versuchsanordnung über die Qualität des Experiments entscheidet. Sein Ventilator steht unter dem Tisch. Kräftig bläst er ein Tischbein nach außen. Noch nie hat man einen Tisch so hilflos gesehen. McCarthyfügt dem bewegten Allerlei ein bayrisches Theater bei: Die Akteure in Tracht stoßen mit einer Maß an, während sie nacheinander treten.

Markus Mittringer

erschienen in:
Der Standard, 08. 10. 2004