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Dummys der Luftfahrt
Steirischer Herbst in Graz: In Kathrin Rögglas uraufgeführtem Stück "junk space" entkommt keiner der schönen neuen Arbeitswelt


Es ist Angst, die diese Figuren umtreibt. Sie antreibt oder sie still stehen lässt. Eine Angst, die weder mit Händen greifbar noch mit Gedanken fassbar ist. Immer steht sie neben ihnen, kühl lächelnd, als sei doch gar nichts dabei. Und schlägt in einem unvorbereiteten Moment wieder zu. Die Angst - sie ist in Kathrin Rögglas neuestem Stück die große Schwester der schönen neuen Arbeitswelt. junk space hat Röggla ihr hyperventiliertes und durchaus komisches Phobienstück genannt, eine Art Kosten-Nutzenrechnung der menschlichen Abwehrreaktionen, und hat sich dafür einen Begriff von Rem Kohlhaas entlehnt, der damit all jene "dritten Orte" wie Shopping Malls oder Fußgängerzonen meinte, in denen der Mensch zur Kommerzmaschine geformt wird.

Ein junk space ist auch der Seminarraum, in denen die fünf Angstkandidaten im Grazer Kristallwerk wie in einem Käfig stecken. Ein weißer aseptischer Raum, den Magdalena Gut für diese Uraufführung des steirischen herbst (das Ganze ist eine Koproduktion mit dem Zürcher Theater am Neumarkt) gebaut hat, mit unzähligen Luftlöchern versehen und nach hinten sich quaderförmig verkleinernd. Ein Katalysatorraum, mit dem einzigen Zweck, die Patienten wieder in die Verwertungskette zurückzuführen. Doch das ist natürlich kein einfaches Unterfangen.

Kathrin Röggla ist eine Dramenspezialistin der postfordistischen Arbeitswelten und ihrer neoliberal zurechtgestutzten Repräsentanten. Zuletzt hat sie mit wir schlafen nicht (Roman und Theaterstück) den Psychohaushalten innerlich verkrüppelter Unternehmensberater oder Key-Account-Sklaven nachgeforscht. Eine, die sich selbst in die Büros und Seminare setzt und den Menschen auf den Mund schaut. Jetzt hat sie sich ins Flugangstseminar begeben, die Phobien und Neurosen der Teilnehmer studiert - und daraus alles andere als ein trockenes Dokumentarstück gemacht.

Hinter den schablonenhaften Redeweisen hat die Diskursanalytikerin Röggla diesmal nämlich die Umrisse von leibhaftigen Menschen gefunden. Das war in der Vergangenheit nicht immer so, da ging es eher um die Volten der Sprache als darum was die Sprache mit den Menschen anstellt. Tina Lanik, die Regisseurin, und ihre mehrheitlich fabelhaften Schauspieler wissen es Röggla denn auch zu danken - aus Plappermaschinen werden plappernde Möchtegernmenschen, eine relativ unbestimmte Situation eine durchlauferhitzte Station ins depressive Wirtschaftwunderland.

Die Luft wird dünn

Natürlich, von einer psychologisierenden Annäherung an diese Frauen und Herren Schmidt und Schneyders und Schorfs kann auch diesmal keine Rede sein. Die typisierenden Namen verweisen nicht umsonst auf etwas Allgemeineres. Röggla geht es um die Zurechtstutzung des Einzelnen, darum wie die Luft zum Atmen immer dünner wird. Jemand wie die Frau Schneider oder Birgit Stöger - sie ist die Entdeckung des Abends - kann da als Prototyp gelten.

"früher nannte man uns praktikantinnen, jetzt fallen wir nicht weiter auf", sagt das Mäuschen, das selbst das Piepsen verlernt hat, wie sie endlich einmal den Mund aufbekommt. Und mit ihrer tiefen gutturalen Stimme jedes Wort wie einen Fremdkörper aus sich herauspresst. Eine gruselig-großartige Szene.

Es ist diese spezielle klaustrophobische Seminarsituation, in der die Teilnehmer nach und nach zu Systemgeschädigten werden. Eine geschlossene Gesellschaft, in der Ordnungsfanatiker Herr Schorf, der wunderbare Leopold von Verschuer, sich erst recht bemüht, alles richtig zu machen. Das zum Hemd passende Taschentuch breitet er genauso mechanisch auf seinen Knien aus, wie er Frau Schmidt (Meret Hottinger) in einen Kopulations-Kampf verstrickt. Ein Alphatier, das zum selbsternannten Stellvertreter des Seminarleiters mutiert, der sich das ganze Stück hinweg nicht sehen lässt.

Die Konzentration auf die Teilnehmer des Seminars, auf den Burnout-Geschädigten Herrn Schmidt des Eduard Wildner, dem Arschloch-Kandidaten Herrn Schneyder des René Schnoz und all die anderen, die Konzentration auf die Pausen zwischen den Sitzungen, ist einer der dramaturgischen Tricks von junk space. Alleingelassen ahmen die Herren und Frauen Angestellten das System nach, dem sie scheinbar entronnen sind. Ein Außen gibt es hier nicht, das verdeutlicht auch die Seminaristengruppe von nebenan, über die ständig gesprochen wird, die allerdings nicht greifbar wird. Aus der Diskursanalytikerin Röggla wird hier eine Systemtheoretikerin.

Es ist nicht immer ganz einfach den Jargon-satten Turbogesprächen dieses Abends zu folgen. Tina Lanik, die mit dieser Arbeit ihren Ruf als eine der begabtesten jüngeren Regisseurinnen gefestigt hat, versucht beides: dem Ganzen einen Rahmen zu geben, und die Situation gleichzeitig so offen als möglich zu halten. Zwei Flugbegleiterdummys fungieren zusätzlich als Kommentatoren und Katalysatoren. Zwei dauerlächelnde Zyniker aus der abgehobenen Welt der Luftfahrt, Vergeblichkeits-Apostel und Verheißungs-Engel. Dass hier irgendjemand aus seiner eigenen Haut schlüpfen kann, daran schüren sie jeden Zweifel. Die Phobien sind bei Kathrin Röggla gesellschaftlicher Natur. Doch dieser Gesellschaft entkommt man nicht so leicht.

Stephan Hilpold

erschienen in:
Frankfurter Rundschau, 01. 11. 2004