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Die Strudelzeit
Wolfgang Bauers "Foyer" in Graz


"Der Autor ist uns wohlbekannt - schon seit siebzig Jahren." Oder doch seit den siebziger Jahren? Wolfgang Bauer, der Nestor des Grazer Neorealismus, hat wieder ein Stück geschrieben. Der Steirische Herbst hat es in Auftrag gegeben, und es handelt von einem alternden Dramatiker, der draussen bleiben muss. "Foyer" heisst der launige Abend. Das Foyer ist die Vorhölle des Theaters und ein virulentes Trauma im Dichterleben des Charlie Dodler. Der Eintritt in den Zuschauerraum wird ihm verwehrt. Sein autobiografisches Stück darf er nicht sehen. Obwohl er doch drin vorkommt. Oder kommt er in einem Stück vor, das von einem handelt, der in einem Stück vorkommt? Sind wir überhaupt wir selbst?
Die jungen Regisseurinnen Monika Klengel und Pia Hierzegger haben inszeniert, und das zu überregionaler Berühmtheit gelangte Grazer Theater im Bahnhof spielt Bauer mit der Verve unerbittlichen Vergnügens. Ein Breitwand-Foyer hat man in die Helmut-List-Halle gestellt. Es könnte aus einem Provinzfilmpalast kurz vorm Kinosterben stammen. Knallige Farben wollen sagen: Das alles ist komisch. Der zerzauste Dichter betritt das Foyer und wird nicht eingelassen. Fragen von "pirandelleskem" Zuschnitt, wie es ehrlicherweise im Stück heisst, werden in "Foyer" aufgeworfen. Die Sache zieht sich. Weil das am Ende aufs Stück zurückfällt, hätte Bauer vielleicht keinen Begriff wie "Strudelzeit" erfinden sollen. Tempo gewinnt "Foyer", als Charlie Dodler jener Blinddarm entfernt wird, der an der Stelle seines Gehirns sitzt. Stattdessen wird ihm das Ego des zufällig anwesenden amerikanischen Präsidenten eingepflanzt. In Wahrheit aber ist George Bush der österreichische Skifahrer Hermann Maier. Am Schluss Lach- und Maschinengewehrsalven. Charlie Dodler schiesst das Publikum seines Stücks über den Haufen.
Wäre Wolfgang Bauers "Foyer" doch wenigstens absurdes Theater! Ist es aber nicht. "Foyer" ist Grazer Existenzialismus. Das Stück leidet an einer philosophischen Schwachbrüstigkeit, zu der auch der Charlie Dodler dieser Inszenierung passt. Der schmächtige Lorenz Kabas spielt einen zappeligen Dichter, der so künstlich komisch ist wie alles hier. Aufgekratzte Garderobieren kichern sich durchs Stück, ein Barkeeper mixt den knallblauen "Foyer", während der Kritiker Otto Sammler (angenehm lethargisch gespielt von Rupert M. Lehofer) im Frottee seines Pyjamas über die "superrealistischen Phasen" des Dichters philosophiert und über dessen "Darm-Theater". Zwischen Foyer und Vorhölle muss der Regisseur des Stücks im Stück ein feuerrotes Brusttoupet tragen. Der Teufel steckt in diesem Detail. Wolfgang Bauer ist in der Form seines Lebens. Unverändert. So ist auch das Stück "Foyer" voller Eigenplagiate, für die sich Bauer als Autor eigentlich selbst verklagen müsste. Die Frage nach dem Künstler-Ich stellt Wolfgang Bauer mit einer solchen Vehemenz, dass man seinen diesbezüglichen Wissensstand alle Jahre abrufen kann. Etwa in "Café Museum - Die Erleuchtung", einem Libretto, das 1993 für den Steirischen Herbst entstanden ist, oder dem "Skizzenbuch", das Bauer 1996 für die Wiener Festwochen geschrieben hat. Und schon 1987 wird in "Herr Faust spielt Roulette" der Satz gesagt: "Auch ich bin eine Figur, obwohl ich der liebe Gott bin." Schauplatz: "Oberstübchen".
Was ist schon echt? Wer ist Gott, und wer ist Bauer? Stand der Dichter nach der Uraufführung leibhaftig im Hallen-Foyer und war beim Bier zufrieden? Ende sogar noch besser als alles gut? Für das Letztere gilt: nein.

Paul Jandl

erschienen in:
Neue Zürcher Zeitung, 12.10.2004