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Höllen-Abo für den Grazer Greisenplüsch
Premiere von Wolfgang Bauers "Foyer" - Von Verpflanzungen handelt sein mit Angst Scherz und Schmerz treibendes Stück


Graz - Das titelgebende Foyer im von Autor Wolfgang Bauer so genannten "Blue Star Theater" ist ein unendlich langer Cinemascope-Wunderstreifen - ein Anhaltelager mit Stilmerkmalen des in allen guten Nachkriegstheatern vertretenen "Gelsenkirchener Barocks" (Ausstattung: Heike Barnard, Johanna Hierzegger).

Der steirische herbst hat diese philosophische Raststätte, um dem großen Sohn der Stadt uraufführend wohl zu tun, in die Grazer Helmut-List-Halle verpflanzt. Aber von Verpflanzungen - des Gehirns, des brüchigen "Egos", des entzündeten Blinddarms - handelt schließlich auch Bauers großes, grobes, mit der Angst Scherz und Schmerz treibendes Stück: Foyer. Diese Vorhalle zu einem Leben, von dem der gescheitelte und gebeutelte Autor Charlie Dodler (Lorenz Kabas) sagt, es sei ein von ihm verfasstes Theaterstück, das hinter den Plüschdoppeltüren sozusagen 70 Ewigkeitsjahre lang auf Sparhöllenflamme vor sich hin köchelt, wird von einer todesmutigen Bauer-Laienspielgruppe bevölkert, die auf den Namen Theater im Bahnhof hört und in Graz so etwas wie jungen Weltruhm genießt.

Spaßgymnastik

Selten sah eine Bauer-Uraufführungsinszenierung aber auch so vor der Zeit gealtert aus. Hinreichend welk wirkt die Manier, auf die unnachahmlichen Bauer-Sager, auf diese mit allen seichten Wassern gewaschenen Maximen, die im Fluss des Dialogs wie zugespitzte Holzkeile dahintreiben, mit Spaßgymnastik zu reagieren.<> Aus Dodler, dem Bauer-Alter-Ego, ist ein blasser Zappel-Charlie im Stangenanzug geworden. Er schneit zu seiner eigenen Uraufführung herein, scheint aber weder eingeladen - noch auch sonst ganz von dieser Welt. Wenn sein Handy klingelt, die Garderobiere (Martina Zinner) sich als dralle Vorhöllenhündin mit rosa Wolle in eine arg lüsterne Vergnügtheit hineinstrickt, während der Pausenbarkeeper (Roland Trescher) die heruntergefallenen Eierspeisklumpen mit der Gabel vom Boden aufspießt, die Kassendame (Juliette Eröd) wie eine Puffmamsell über ihren Tresen klettert, als wolle sie kopfüber in einen Höllenkessel hinabtauchen - man wähnt sich vorfreudig erregt am Beginn einer philosophischen Slapstick-Veranstaltung.

"Darm-Realismus"

Doch bereits eine halbe Stunde später liegt das Blei des Unvermögens schwer auf der Unternehmung. Die Figuren kullern aus dem Bauer-Theater heraus und kleben fest, wo die Regie (Monika Klengel, Pia Hierzegger) sie anleimt. Sie verlernen das Sprechen und vermasseln das Spiegelfechten. Der Kritiker Otto Sammler (Rupert M. Lehofer), ein massiger Zombie im Frotteepyjama, der in einen Laptop auf dem Heizkörper klopft, ohne sich das Stück im Stück ordnungsgemäß anzuschauen, meint einmal: "Es ist so geschrieben, wie wenn der Dichter mit dem Blinddarm denken würde. Es ist der Darm-Realismus!"

Kunst des Leichtsinns

Einspruch: Bauers Massaker im Foyer ist Darm-Theater, das doch eigentlich auf den Schwingen des Leichtsinns dahergeflogen kommen müsste. Im holden Unsinn dieses szenischen Experiments wird ein Wüten spürbar, das alle denkmöglichen Skandale zusammenrührt und das explosive Gemisch unter Hohngelächter in Brand setzt: Bauer verunglimpft den Ewigkeitswahn der Künstler. Er empört sich wider den Skandal des Todes (und gegen die unfassbare Infamie des Regie-Theaters?). Es wird das Ego von George W. Bush, der eigentlich von Hermann Maier im Spiel gespielt wird, auf offener Foyer-Bühne herausoperiert und Dodler fröhlich bluttriefend eingesetzt. Vielleicht war der aber auch gar nie bei sich.

Das Treiben erinnert an eine Gruppe Studenten, die durch das Bühnenschlüsselloch eine mittelgute Stefan-Pucher-Inszenierung in Hamburg belauscht hat - und es dem Kollegen nachzutun versucht. Der einzige Jüngling unter allen Greisen war der Dichter. Ihm galt der Jubel: "Wolfi" B.

Ronald Pohl

erschienen in:
Der Standard, 11. 10. 2004