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Knallende Würfel, kreisende Kartoffeln
Das Grazer Kunsthaus forscht nach "Beweglichen Teilen" in der heutigen Kunst, nach Erben Jean Tinguelys.


Moviestar, Moviestar, you think you are a . . . - Einmal über den roten Teppich gehen, Blitzlicht gewitter, Mikrofon-Dickicht, Fragen-Strudel. "Stimmt es, dass Sie den Kinetikern beigetreten sind?"

"Kein Kommentar", könnte verrucht hauchen, wer im Grazer Kunsthaus Richtung Rollband zu den Hallen schreitet, in denen man die kinetische, die bewegliche Kunst rumoren hört. Der junge Ire Malachi Farrell hat das genial-glamouröse Entrée "Paparazzi" inszeniert, mit auf den Passanten reagierenden interaktiven Kameras, Dutzenden Mikros, Haufen von leeren Filmschachteln.

Nicht ganz die 15 Minuten Ruhm, die Warhol einst versprochen hat, aber immerhin. Zuvor hat man die surrealistische Szenerie "Und sie bewegt sich doch!" des 25jährigen Michael Sailstorfer vor dem "Friendly Alien" bestaunt, ein aufgebockter Mercedes betreibt eine sich drehende Weltkugel um die wiederum wuchtig eine Straßenlaterne rotiert. Hoppla! Das wirkt ja alles recht entspannt! Und das soll kinetische Kunst sein? Diese leicht angerostete Schrott-und-Technik-Bewegung der Sixties, die Jean Tinguely bis zum perfekten Leerlauf ausreizte? Wer einmal im Basler Tinguely-Museum die ironischen Nonsens-Maschinen studiert hat, versteht das mulmige Gefühl, das einen beschleicht, wenn man in ein Flugzeug steigen muss, das gerade diesen Meister als Namenspatron auf seinem Rumpf trägt (auch Fluglinien können scheinbar Galgenhumor haben).

Wie auch immer. Für den Steirischen Herbst tat sich das Grazer Kunsthaus mit der Basler Institution zusammen, um zu erforschen, wie sich kinetische Kunst heutzutage manifestiert. Dazu beauftragte man eigens acht junge Künstler mit neuen Arbeiten, die dann in den knapp vierzig mehr oder weniger "historischen" Positionen verankert wurden. Das Ergebnis wird jetzt erstmals in Graz präsentiert.

Danach geht die Ausstellung "Bewegte Teile" weiter in die Schweiz. Schon der historische Part, beginnend 1959, zeigt die überraschend große Bandbreite, die von den Kuratoren, darunter Peter Pakesch, Peter Weibel, als kinetisch definiert wird. Neben Klassikern wie Tinguelys Philosophen und Rebecca Horns steppenden Stöckelschuhen findet sich Bruce Naumans abschreckendes "Carousel" (1988), bei dem Abgüsse von Tier-Modellen im Kreis geschleift werden. Oder Krystof Wodiczkos Vehikel für Obdachlose. Und sogar Michelangelo Pistolettos "Mappamondo", die Weltkugel aus Zeitungspapier, die der Künstler 1966 durch die Straßen rollte.

Hauptsache also, es bewegt sich. Äußerst liberal kann diese Auswahl genannt werden, sie öffnet das Feld weit für die zeitgenössischen Positionen. Etwa für die "Squeeze-Chairs", aufblasbare Polstersessel zur Selbstumarmung von Wendy Jacob, die in Zukunft sogar bei der Therapie von autistischen Kindern eingesetzt werden könnten.

Schwierig wird es, wenn das Technische zugunsten des Effekts in den Hintergrund tritt. In der Verschleierung, Maskierung der Mechanik sah schon Fortschritts-Skeptiker Tinguely die Gefahr, dass wir vergessen, dass die Technik uns beherrscht. Dieser Verdacht der Tarnung beschleicht einen bei Martin Waldes blubbernden, rülpsenden Plastikschüsseln, gefüllt mit einem Blasen werfenden grauen Schleim. Das wirkt zwar irre gut, in dieser Schau aber deplaziert.

Denn Kinetik in der Kunstgeschichte meint eben nicht nur Bewegung allein, sondern beinhaltet auch ihre Erklärung - das Entlarven von Systemen und ihren Fehlern. Gelungen ist das etwa Everybody's Darling, dem isländischen Künstler Olafur Eliasson, mit einem simplen Ventilator, der von der Decke hängend sich aus eigener Kraft selbst herum wirbelt. Ventilatoren sind überhaupt stark vertreten: Bei Hans Haacke lässt ein solcher ein blaues Tuch fliegen, bei Roman Signer erfrischt er ein angesägtes Tischbein.

Einfachheit ist das Zauberwort, das bei Kunst mit viel Technik meist über die Qualität entscheidet. Je komplizierter, mit Computer hier und Interaktivität da, desto weniger überzeugt das Ergebnis. Diesen Hang zur eitlen Verspieltheit hat schon Sigmar Polke bei den Kinetikern seiner Zeit zynisch hinterfragt in seiner "Kartoffelmaschine Apparat mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann" - immer wieder ein Höhepunkt. Ein weiteres Highlight ist Paul McCarthys ratternde riesige Kuckucksuhr-Bühne, bei der sich ein Comics-Trachtenpärchen mit Bier zuprostet: "Bavarian Kick".

Still, poetisch: Arbeiten wie Günther Ueckers meditative Sandspirale. Ein lauter Knall holt einen aus der Eintracht, Jeppe Heins verrückter Würfel hat wieder einmal ein paar Sprünge hingelegt. Und davor raschelt ruppig der Waldteufel von Fernando Palma Rodriguez und erzählt ein Märchen, das wir nicht ganz verstehen müssen - vielleicht das Märchen von kinetischer Kunst.
(Bis 16. 1.; Di-So: 10-18, Do: 10-20 Uhr)

ALMUTH SPIEGLER

erschienen in:
Die Presse, 9.10.2004