pressespiegel
                              kontakt
                akkreditierung
                pressephotos
             presseverteiler
Der Newsletter ist auf der aktuellen Webseite verfügbar.
Die Suche ist auf der aktuellen Webseite verfügbar.
english

<<  zurück

Schluß mit dem Gemischtwarenhandel


Graz ist ausgepowert nach dem Kulturhauptstadt-Jahr 2003, die List-Halle eine schwere Last. Wohin steuert die künftige Leiterin?
Veronica Kaup-Hasler, designierte Intendantin des "steirischen herbst" 2006-2009, im Interview.

Die Presse: Waren Sie überrascht, dass Sie nominiert wurden?

Veronica Kaup-Hasler: Weniger von der Tatsache selbst, mich hat eher die Geschwindigkeit der Entscheidung überrascht. In Deutschland erlebe ich momentan das Gegenteil, bei den Verhandlungen über die Zukunft der Theaterformen in Braunschweig und Hannover, des Festivals, das ich bis dato geleitet habe. Das geht über ein Jahr schon, dass man kämpft, ob diese Institution überhaupt erhalten bleibt.

Wie ist die Lage in Deutschland für die Kunst angesichts der Wirtschaftskrise?

Kaup-Hasler: Es ist dramatisch und dürfte wirtschaftlich noch dramatischer werden für die Kunst wie für die Wissenschaft, weil viele Kommunen durch den Ausfall der Gewerbesteuer ausgepowert sind.

Am Theater gibt es heute viele junge Autoren, die werden eine Zeit lang gespielt, dann verschwinden Sie wieder. Ist das eine gute Entwicklung? Und: Gibt es noch so etwas wie Avantgarde im Theater?

Kaup-Hasler: Der "herbst" ist ein Festival, das sich einem Avantgarde-Begriff verpflichtet hat. Avantgarde ist immer wieder neu zu definieren. Das Festival ist eine kulturelle Zukunftswerkstatt, ein pulsierender Ort des Widerstandes gegen Nivellierung, Trivialisierung der Gesellschaft.

Zu den Autoren: Es gibt einen starken Druck auf die Theater, ständig neue Autoren auf den Markt zu werfen, um maximale Aufmerksamkeit durch die Medien zu erzielen. Das Neue ist aber nicht immer das Beste, das Relevante. Viele junge Autoren sind talentiert, werden aber viel zu früh verheizt. Sarah Kane wird zum Beispiel nicht mehr aufgeführt, weil: Ist ja schon gegessen. So ist das in einer medialen, eventisierten Welt. Man muss sicher ständig nach neuen relevanten Autoren suchen, aber vielleicht mit etwas mehr Ruhe und Betreuung.

Wohin soll sich der "herbst" jetzt wenden?

Kaup-Hasler: Graz hatte das Kulturhauptstadtjahr 2003, da sind jede Menge Extra-Gelder geflossen. Jetzt muss es einen Konzentrationsprozess geben. Ich bekenne mich zu weniger Veranstaltungen. Der "herbst" ist ein Festival, an dem unheimlich viele Institutionen dranhängen, von ihm unterstützt werden. Ich muss aber nicht mit jedem Kulturverein und allem, was es in der Steiermark gibt, den "herbst" bestreiten. Der "herbst" muss ein Qualitäts-Prädikat sein. Der kulturelle Alltag in Graz ist ja sehr reich. Die Frage ist, wie schafft man Besonderes: Keinen Event, ein echtes Ereignis?

Zum Beispiel?

Kaup-Hasler: Ich bitte um Verständnis, dass ich noch nichts Konkretes sagen kann. Aber ich habe noch nicht einmal meinen Vertrag unterschrieben. Was ich möchte, ist, die Kunst der Anmaßung, die den "herbst" immer ausgemacht hat, lustvoll ausbauen. Wir wollen Themen entwickeln, Behauptungen aufstellen, aber keinen Gemischtwarenladen. Und dann möchte ich den Trigon-Gedanken erweitern in Richtung Friaul, Slowenien, Balkan, dem Mittelmeerraum.

Sie rechnen nicht damit, dass sich die Verhandlungen mit Ihnen noch zerschlagen?

Kaup-Hasler: Nein, nicht wenn die Vorbereitungszeit adäquat finanziert wird und, wie versprochen, keine Belastungen durch die List-Halle anfallen. Die können wir nicht übernehmen, nur mieten und bespielen. Das ist die Bedingung. Das Geld muss in die Kunst fließen, nicht in Institutionen. Als Veranstaltungsort ist die List-Halle wunderbar. Die internationale Wirkung des "herbst" muss noch ausgebaut werden. Das wird gelingen, wenn man die richtigen Konstellationen schafft, Autoren, Regisseure, Teams. Für alle Künste gilt: Wirken muss es, einen packen! Das Schlimmste ist die Langeweile, und wenn es einen kalt lässt.

Hat Theater noch wie in den Sechzigern, Siebzigern eine politische Botschaft?

Kaup-Hasler: Auch für den aktuellen Kunst-Diskurs ist Ethos wichtig. Auf was können wir uns noch verständigen, außer auf Wirtschaft, Sozial-Darwinismus? Woher nehmen wir Werte in einer entsolidarisierten Gesellschaft? Die Frage, mit welcher Haltung wir Kunst machen, ist wesentlich.

Wird es beim "steirischen herbst" während Ihrer Intendanz weiter Ausstellungen, Musik-Protokoll, Uraufführungen geben?

Kaup-Hasler: Natürlich. Die Identität des "herbst" als Ort des Neuen, der Vernetzung zwischen den Künsten bleibt gewahrt.

In Graz hatten Frauen zuletzt Probleme, beim "steirischen herbst" Frisinghelli, bei der Diagonale Dollhofer. Macht Ihnen das Sorgen? Wie stehen denn so die Chancen für Frauen in kulturellen Führungspositionen?

Kaup-Hasler: Frauen, die Theater führen, sind im deutschsprachigen Raum selten. Auf die Schnelle fallen einem die Österreicherin Elisabeth Schweeger, Direktorin am Frankfurter Schauspiel ein oder Anna Badoa in Düsseldorf. Im internationalen Festival-Betrieb gibt es allerdings, anders als im deutschsprachigen Raum, inzwischen mehr Frauen als Männer. Frisinghelli und Dollhofer, das sind natürlich hochkarätige Persönlichkeiten. Ich bin durchaus gespannt, wie es mir geht. Aber ich habe keine Angst vor der Aufgabe, auch nicht vor Konflikten.

Sie haben sehr erfolgreich den Regie-Wettbewerb der Wiener Festwochen betreut, der dann entsorgt worden ist. Wurde das Geld für andere Projekte gebraucht - oder von Luc Bondy für seine Inszenierungen?

Kaup-Hasler: Dazu kann und will ich nichts sagen. Ich bin Bondy auf jeden Fall dankbar, denn er hat den Regie-Wettbewerb initiiert und ermöglicht, ein Spielfeld, in dem ich viel machen konnte. Die damaligen Teilnehmer, etwa Jan Bosse, Sandra Strunz, Ute Rauwald, Matthias von Hartz, Samuel Schwarz, haben alle ihren Weg gemacht. Das war ein enorm fruchtbares Projekt.

Glauben Sie, dass Sie das noch erleben werden, dass eine Frau Burgtheater-Direktorin wird?

Kaup-Hasler: Aber ja. Ich bin 36, bis ich 86 bin, wird das schon klappen?

BARBARA PETSCH

erschienen in:
Die Presse, 16.10.2004