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Von der Umstellung des Gehirns
Komponistin Olga Neuwirth: "Das ,d' ist meine Lieblingsnote, aber ich sage nicht, warum."


Wien - Manchmal bleibt einem nur noch das Lachen, etwa wenn man auf der Bühne der Münchner Oper steht, um sich zu verbeugen: "Da gab es die Aufführung eines Auftragswerkes von mir, offenbar vor einem nicht an Moderne interessierten Publikum. Ich komme also raus und die Ablehnung ist heftig wie ein Windstoß. Uaaaaa! Wenn etwas so grotesk wird, ist man nicht getroffen, man lacht."

Bei einer anderen Operngeschichte reicht es bei Olga Neuwirth allerdings nicht mehr zur Heiterkeit. Es handelt sich dabei um eine Oper für das Mozartjahr 2006, die zunächst in Salzburg gezeigt werden sollte, aber von Peter Ruzicka fallen gelassen wurde, dann von Gerard Mortier und Ioan Holender als Wien/ Paris-Kooperation übernommen wurde.

Und nun, nachdem Mortier aus diesem Projekt ausgestiegen ist, auch vom Staatsoperndirektor nicht mehr gewollt wird. Das Libretto von Elfriede Jelinek über den Klagenfurter Pädiatrie-Professor Franz Wurst, der wegen Kindermissbrauch und der Anstiftung zum Mord an seiner Frau verurteilt wurde, sei zu schlecht.

Holender wünscht sich zwar noch immer eine Neuwirth-Oper, Aber mit dem Libretto zum Fall des NS-Psychiaters Gross. Neuwirth: "Die wissen alle nicht, was sie tun. Das abgelehnte Libretto gibt es seit zwei Jahren, ist also bekannt gewesen. Überhaupt ist es nicht so, dass ich da hechelnd irgendwas angeboten habe. Vielmehr war es so, dass die drei unabhängig von einander an mich wegen eines Opernauftrages herangetreten waren! Ich konnte natürlich nicht drei Opern schreiben."

Jetzt sei man "an dem Punkt, dass keiner mehr will. Die Herrn sind naiv, die Jelinek schreibt kein neues Libretto, außerdem muss es dem Komponisten passen. Mir muss ja was einfallen! Für mich ist das eigentlich erledigt. Das ist keine Art. Wir hatten auch nie einen Vertrag, das ist die neue Taktik. So können sie immer aussteigen."

Zwei Jahre Arbeit Für Neuwirth ist das alles unangenehm. Sie hat wegen der Oper für die nächsten zwei Jahre keine Aufträge angenommen, weil "ich für eine Oper eben zwei Jahre volle Konzentration brauche. Und ich bin eigentlich von diesen Aufträgen abhängig - ich unterrichte ja nicht, an die Wiener Musikhochschule bin ich nicht einmal eingeladen worden."

Im Moment gibt es allerdings noch keinen Grund zur Klage. In letzter Zeit wurde von ihr einiges uraufgeführt; beim steirischen herbst wird heute vom Ensemble Modern ... ce qui arrive ... präsentiert. Und bei Wien modern fungiert Neuwirth ab 28. Oktober neben John Cage die Hauptkomponistin. Die Grazer Uraufführung gibt auch die Gelegenheit, die mittlerweile wieder in Wien Lebende als Songkomponistin kennen zu lernen, und das kam so:

"Ich wollte aus Kurt Weills Dreigroschenoper etwas nehmen, und es verarbeiten. Das ging aber nicht. Die Weill-Erben haben es erlaubt, sie, die eigentlich die Komponisten sind und sich eher ärgern könnten, dass eine Kollegin auf diese Musik zurückgreift. Aber die Brecht-Erben meinten, dabei käme nicht genügend Geld heraus. Das ist lange hin und her gegangen. Es sind ja drei Brecht-Erben."

Drei Songs Das Produktive daran: Neuwirth hat in einem Anfall von Eklektik drei Miniaturen selbst geschrienen: "Irgendwie wollte ich immer schon Songs schreiben - so komponiere ich ja normalerweise nicht. Da musste ich schon mein Hirn umstellen." Warum nicht schon früher? "Ich wollte den Klang an sich erforschen, das ist schon was anderes. Ich habe ein Interview mit Tom Waits gelesen: Er sperrt sich - so wie ich - fürs Komponieren total ein. Nur: Bei ihm kommen Text und Musik zugleich. Das kann ich von mir nicht behaupten. Insofern bin ich kein Songwriter."

Auch beim neuen Werk gibt es Texte, sie kommen von Paul Auster, den man auch um Erlaubnis fragen musste, sie verwenden zu dürfen. " Auster war unglaublich nett. Ich habe einen Brief geschrieben, es gab kein Problem. Ich wollte auch seine Stimme haben, und er hat die Texte dann in New York aufgenommen. Lustig: Mein Lieblingston ist ,d', und Auster spricht auf der Tonhöhe eines ,d'. Warum diese Note? Das ist meine persönliche Geschichte, da sage ich nichts dazu."

Gerne redet sie allerdings über eine Episode, die sie knapp nach dem Antritt der schwarzblauen Regierung mit Dirigent Pierre Boulez erlebt hat. "Ich wollte vor dem Konzert raus, um ein Statement abzugeben. Er ließ mich nicht. Wenn man unseren Disput gefilmt hätte - ein lustiger Anblick. Ich trug dann eine schwarze Schleife, auch das haben die Leute durchaus verstanden. Da sind dann einige im Konzerthaus auf mich gestürmt, und wollten handgreiflich werden. Der Konzerthauschef hat mich geschützt."

Komponistin Olga Neuwirth: "Das ,d' ist meine Lieblingsnote, aber ich sage nicht, warum."

erschienen in:
Der Standard, 20.10.2004