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Wo der Hemmschuh drückt


Den berühmt gewordenen Begriff "Junk Space" hat Rem Koolhaas erfunden. Der holländische Architekt bezeichnet damit häßliche und endlose Vergnügungs- und Arbeitswüsten, wie Shopping Malls, Fußgängerzonen, Erlebniswelten und Büroschluchten, die dem Menschen Orientierung wie Denkvermögen rauben und ihn auf sein wirtschaftliches Funktionieren reduzieren. Und "Junk Space" nennt nun die 1971 in Salzburg geborene und in Berlin lebende Autorin Kathrin Röggla ihr jüngstes Theaterstück, ein Auftragswerk fürs Festival "Steirischer Herbst", das in Graz als Koproduktion mit dem Zürcher Theater am Neumarkt uraufgeführt wurde.

Aber das Bühnenbild von Magdalena Gut zeigt keinen typischen junk space, sondern ein weißes leeres Labor, eine minimalistisch gestylte Therapie-Zone: ein Bunker gegen den Schmutz der Welt. Fünf Figuren und ein uniform grinsendes Spitzelduo mit roten Halstüchlein sind zu einer Gruppentherapie gegen die Flugangst versammelt und bringen noch andere Phobien, Aggressionen, Hysterien und Verhaltensstörungen zum Ausdruck. Frau Schmidt, hochhackige Karrierefrau, leidet unter einem Kontrollwahn, unter dem sie stets Nagelscheren ins Flugzeug schmuggelt, um dann das Sicherheitspersonal als ungeeignet zu bezeichnen.

Warten auf den großen Guru

Oder Herr Schorf im Karohemd steht mit seinen "Hemmschuhen" als ein überangepaßter und schleimig-aggressiver Angestellter da, der gerade seinen "innermenschlichen Betriebsvorgang" überprüft. Herr Schmidt, Exprogrammierer mit Burn-out-Syndrom, unterliegt seinem Genauigkeitsfimmel mit dazu passenden Panikattacken, möchte aber wieder störungsfrei sein, eine "Durchgangsstation für reine Leistung". Der Controller Schneyder kaut an seinen Bewältigungsstrategien, die schwer verstörte Frau Schneider betrachtet sich längst als "Kommunikationsschadstoff".

Kathrin Röggla ist eine präzise Sprachspielerin, aber immer in Gefahr, in ihrem verdichteten und etwas sperrigen l'art pour l'art steckenzubleiben. Wie schon in ihrem jüngsten Roman "Wir schlafen nicht", aus dem sie ebenfalls ein Theaterstück machte, einer Studie über Unternehmensberater und deren Effizienz- und Erfolgsdenken, beschreibt sie heutige Arbeitsverhältnisse, Macht- und Dominanzspiele der Leistungsgesellschaft, Zwänge und Deformierungen, entfremdete, kaputte Menschen. Weil die Autorin auch allen dieselben Floskeln verpaßt, werden aus ihnen nicht wirklich individuelle, dialogfähige Personen; sie sprechen alle mehr für sich, auch wenn sie einander beäugen und bekämpfen, während sie über Tage auf den großen Guru, den verehrten Seminarleiter, warten, der freilich nie kommen wird.

Angst vor zuviel peinlicher Realität

Zwischen den weißen Lochwänden stehen sie da wie Sprechkörper, hohle Kunstfiguren mit Sprachkostüm. Mehr scheint nicht drin: nicht mehr miteinander, auch nicht mehr kräftig gegeneinander, sondern nur noch nacheinander zu sprechen - vom Gesellschaftskörper und seinen Krankheiten. Und die gerade Nichtsprechenden verkriechen oder verkrallen sich, und bald laufen wieder alle neurotisch im Kreis.

Die Regisseurin Tina Lanik, die vor zwei Jahren in Wien schon Rögglas Theatererstling "Fake Reports" inszenierte und der die Autorin nun dieses Flugangstseminarstück anvertraute, läßt die Bühnenfiguren mit den minimal variierten Allerweltsnamen Schulze, Schultze, Schneyder, Schneider und Schmidt kaum expressiv, sondern stereotyp spielen, was dann doch wie eine steife szenische Seminararbeit wirkt. Auf dem "Trimm-dich-Pfad für Angsthasen", wie Röggla ihr Stück selbst flapsig nennt, ist von der angekündigten Komik kaum die Spur zu finden. Als sei nicht nur die gesellschaftliche Entfremdung oder wahlweise eine sprachtheoretische Konzeption an diesen Nichtpersonen schuld, sondern auch die Angst der Theatermacher vor zuviel peinlicher Realität. Mit dem hysterischen Turbokapitalismuskritiktheater à la Rene Pollesch hat diese Inszenierung auch nichts gemein. Sie hält sich brav an die Arbeit am Sprachmontageband.

Nur zwei Schauspieler eigenwillig genug

Nur zwei Schauspieler sind hier eigenwillig genug, über die Sprechakte hinauszukommen, und sie sind es, die beklemmende Härte und zugleich etwas irritierend Weiches in den kunstvoll abstrahierten, antidramatischen, statischen Theatertext zaubern, dem Abend szenisch wenigstens etwas Spannung, Kraft und einen Bogen geben: Birgit Stöger als die großäugig verhuschte Frau Schneider ist das willenlose Opfer in jedem Büro und in jeder Beziehung; und Leopold von Verschuer, der sie prompt vergewaltigt, spielt leuchtend den abstoßend fettigen und süßlichen Herrn Schorf. Zum Staunen, zum Ekeln und zum Leben kam das Therapiespiel erst mit diesen beiden.

Man muß ja nicht immer das große tragische, blutige Heldendrama bieten, wenn es um Gegenwärtiges geht, aber so spannende und eindrückliche Figuren, wie man sie in einem Zugabteil, an einem Hotelfrühstückstisch nebenan oder an jedem Elternabend erleben kann, dürften es manchmal schon sein auf dem Theater. Sonst bleibt das Publikum gleich lieber mit seinem eigenen Kopftheater allein.

Erna Lackner

erschienen in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02. 11. 2004