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Angst picken Seelenkrümel auf
Zwei Uraufführungen beim steirischen herbst: Gerhild Steinbuchs "Nach dem glücklichen Tag" und Kathrin Rögglas "junk space"


Gerhild Steinbuch ist 21 Jahre alt. Neben ihrem Mutter-Tochter-Drama "Nach dem glücklichen Tag" sieht Kathrin Rögglas "junk space" aber gar nicht alt aus. Zwei Uraufführungen beim steirischen herbst.

Graz - Man kann auch Märchen schreiben, um in der Gegenwart zu landen, so wie Gerhild Steinbuch in Nach dem glücklichen Tag beim steirischen herbst. Kathrin Röggla, die um ein Dutzend Jahre ältere und mit ihren 33 Jahren doch als Jungautorin geltende zweite Uraufführungsautorin des vergangenen Wochenendes, greift härter auf Gegenwart zu - ihr Thema bleibt die New Economy und die unter ihren Bedingungen lebenden Menschen. wir schlafen nicht, ihr letzter Roman- wie Theatertitel, ist deshalb auch wörtlich zu nehmen. Key Account Manager oder IT-Supporter können nämlich auch ohne.

Aus der hier ausgeforschten "html-Sklaven"-Welt (die Autorin hat sich in Interviews durch die Branchen gearbeitet) hat Röggla im Auftrag vom steirischen herbst ein Stück verfasst, in dem sie ihre Schreckensprüfungen heutiger Arbeitswelt aus der Sprache heraus vollzieht: "Personalverdichtung" heißt es, wenn Kündigungen gemeint sind.

junk space, so der Titel - ein Vokabel aus dem vorangegangenen Werk -, meint einen Ort, der für nichts steht (der Platz vor einer Rolltreppe beispielsweise oder der zwischen Messeständen), ein Zwischenort, der keinen Sinn ergibt, außer dass neben ihm die Möglichkeit eines sinnhaften Raumes besteht. Magdalena Gut hat dafür im Grazer Kristallwerk eine verschachtelte White Tube gebaut, in der eine gemischte Abordnung New-Economy-Personals die Zwischen-"Räume" eines Flugangstseminars abstottert.

Deren Namen beginnen allesamt mit "Sch" - Schneider, Schneyder, Schorf - wie "Schnittstellenkoordinator" oder "Schlafdezimierer" oder eben Schubumkehr. Sieben von ihren Firmen geschluckte Individuen, die bloß deshalb nicht hundertprozentig funktionieren, weil sie einem Verkehrsmittel nicht trauen.

Firma packt Menschen

Röggla markiert jenen Punkt, an dem die Firma den Menschen packt, an dem sie auf den menschlichen Makel, auf die kleinen Eigenheiten jeder Persönlichkeit zugreift und diese für ihre eigenen Interessen "korrigiert". Unter der schlanken, strengen Regiehand von Tina Lanik erblühen diese Seminaristen in ihrer ganzen Paranoiapracht zu großen Puppen, die sich zu Tableaus anordnen, dann in die Bühnenversenkung köpfeln oder an Horchposten die Ohren gespannt an die weißen Wände drücken.

Die schönste von ihnen ist Birgit Stöger, die, ursprünglich Theater im Bahnhof, kaum erkannt, schon wieder wegwechselt ans koproduzierende Theater am Neumarkt in Zürich. Als vom firmengelenkten Tun und Denken deformierte Praktikantin, eine Schwester von Renée Polleschs Heidi Hoh, muss sie dann doch einem Verzweiflungstäter ihre stets ineinander verhakten Beine wie gewohnheitsmäßig entknoten: dem Herrn Schorf des großartigen Leopold von Verschuer, dem (wie schon in fake reports am Wiener Volkstheater) größten Diener an Rögglas Sprachrhythmik: "meine störung spricht zu mir in ihrem ureigenen jägerlatein".

Tina Lanik behält diese ominösen Talente wunderbar im Griff. Sie hat den Text in seiner White-Tube-Schwebe halten können wie einen sphärischen Chor vom anderen Ende der Röhre. Während hier in junk space keine Charaktere, sondern synthetische Prototypen bei Versuchsanordnungen zu beobachten sind, gräbt sich die 21-jährige Gerhild Steinbuch tief in das Seelenunheil einer Mutter-Tochter-Beziehung vor.

Familienabhängigkeiten sind das Thema der unglaublich jungen Schreiberin, geboren 1983 in Mödling. Steinbuch gehört jener Generation von Autoren an, die sich längst über den in den letzten Jahren etablierten Schulungsbetrieb (Schreibwerkstätten, hier: Grazer Verein uniT) in die Theaterpraxis einloggt und durch gewonnene Preise von sich reden macht.

So hält Steinbuch etwa den ersten Preis eines Stückwettbewerbs an der Berliner Schaubühne in Händen. Sie hat Harold Pinter am Royal Court Theatre besucht und war auch in der Werkstattnacht des Burgtheaters zu Gast. Und auch wenn die herbst-Uraufführung von Nach dem geglückten Tag aufgrund einer eher schwachen schauspielerischen Leistung (der Jungen) dem poetischen Vermögen des Textes um einiges nachsteht, so wird sich die scheue Jusstudentin noch des Öfteren auf einer Bühne verbeugen müssen.

Matthias Fontheim, der Schauspielhausdirektor selbst, hat sich auf der Probebühne seines vor kurzem noch einstigen, jetzt doch wieder künftigen Hauses, der Newcomerin angenommen. Er hat im Stück das Märchen gelesen und erzeugt gleich von Beginn an gruselige Knusperstimmung, wenn im Hexenhäuschen der Mutter (Friederike Bellstedt) bedrohlich am Geburtstagskuchen geknabbert wird. Zu Gast ist die verlorene Tochter (Natascha Shah) und deren Freund (Thomas Prazak). Die Familienzusammenführung endet im Mord.

Zuvor kippt Fontheim noch eine Ladung Theaterschnee über die unheilvolle Dreiecksgeschichte. Der richtigste Moment eines spielerisch leider vergeigten Abends.

Margarete Affenzeller

erschienen in:
Der Standard, 02. 11. 2004