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"der kopf des vitus bering"
Wohltuende Kälte in der Kopfkammer Kryotherapie, "starker toback" und ein Symposium bei steirischen herbst im Literaturhaus Graz


Graz - Die schwarze Ledersitzgruppe im Foyer des Grazer Literaturhauses ist leer. Die Mitglieder der Wiener Gruppe sind in alle Himmelsrichtungen davon gegangen, nur der Geist Konrad Bayers schwebt in Lebensgröße aus Pappe über der verwaisten Möblierung und prostet dem Besucher zu - das Glas in der rechten, "starken toback" in der linken. Drei Tage nach dem 40. Todestag des Dichters eröffnete das Literaturhaus Graz als Beitrag zum diesjährigen steirischen herbst am Mittwoch das Symposium "Kälte" mit einer Ausstellung zur umfangreichsten Arbeit Bayers, dem "kopf des vitus bering".

In drei Räumen werden Typoskripte und Handschriften zu Bayers zwischen 1958 und 1960 im Montageverfahren durchgeführten Text gezeigt. Zur Verfügung gestellt wurden sie dem Literaturhaus vom Privatarchiv des Weggefährten Gerhard Rühm, der auch das Gesamtwerk des Freundes, der sich mit 32 das Leben nahm, posthum herausgab. In der vom Germanisten Paul Pechmann kuratierten Schau sind die Seiten Bayers vom Lockbuch der "St. Peter", jenem Schiff, mit dem der historische Bering in die kalte See stach, unterlegt.

Oszillierendes Lesen

Der Text wurde respektvoll in den Mittelpunkt der Ausstellung gestellt, wobei die Objekte so gehängt sind, "dass sich der Betrachter immer wieder nach vorne und zurück bewegen muss", erklärt Pechmann. Und das ähnele jener oszillierenden Bewegung, die man beim Lesen des Werkes vollziehe: wie auf einem Brettspielfeld von einem Themenfeld zum nächsten.

Sparsam verteilt und jenen Themenfeldern des Werks zugeordnet, sind die übrigen Objekte: Ein Foto der letzten lebenden Schamanin, Abbildungen von Röntgenbildern des Schädels, des Beckengürtels und der Füße des "echten" Berings und ein Video über Epilepsie. Mit dieser Krankheit beschäftigte sich Bayer intensiv. Er notierte, dass das "früher auch als morbus sacer (Heiligenkrankheit)" bezeichnete Leiden für eine göttliche Gnade gehalten wurde.

Gerhard Rühm ließ Konrad Bayer am Mittwoch im Programm "Kalte Platte" aufleben, das der 74-jährige und seine Frau Monika Lichtenfeld gemeinsam mit schwarzem Witz und Klavier aufführten. Freche Melodrame und Sprechtexte sowie Chansons, die Bayer und Rühm einst gemeinsam im Kabarett vorgetragen hatte. Zum Beispiel das Lied der Krankenschwester mit dem kranken Bruder, das Bayer mit Großmutters Haube am Kopf "etwas mühsam, aber doch gesungen hat", wie sich Rühm mit leuchtenden Spitzbubenaugen erinnert.

Therapie mit Beckett

"Ich verzeihe niemandem. Ich wünsche allen ein grausames Leben und dann die Flammen und das Eis der Hölle und bei den widerlichen Generationen der Zukunft ein ehrendes Andenken", ein doch recht kaltherziger Satz von Samuel Beckett, den der Maler und Schriftsteller Anselm Glück gemeinsam mit zwei nicht minder unfreundlichen Sätzen Arthur Schopenhauers auf ein Tafelbild gemalt hat. Es ist Teil einer Performance, mit der Glück am Donnerstagabend eine Kältekammer im Literaturhaus eröffnete. Die Betreiber der Kammer schwören - Kaltherzigkeit hin oder her -, ein Betreten der Kabine, in der es minus 110 Grad hat, sei für das Herz gesund. Kryotherapie heißt das, was normalerweise Sportler in Badehose, Schuhen, Handschuhen und Ohrenschützer über sich ergehen lassen. Bis zum Ende des Symposium am Sonntag kann man in der Kabine erfahren, wie sich Bering fühlt, wenn sein Gesicht langsam blau wird.

Am Freitag lesen im Rahmen von "Kälte" ab 18.30 Lydia Mischkulnig und Jean-Philippe Toussaint. Am Samstag Sibylle Berg um 18.30 aus Ende gut. Danach diskutieren die Regisseure Michael Haneke und Martin Kusej über Kunst und Kälte.

Colette M. Schmidt

erschienen in:
Der Standard, 15. 10. 2004