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Haltungs-Noten
Die Komponistin Olga Neuwirth über Musik, geglücktes Wohnen und die Jelinek-Freude  


Olga Neuwirth ist eine der faszinierendsten Persönlichkeiten im zeitgenössischen Musikleben Österreichs. Immer wieder hat sie mit Elfriede Jelinek zusammengearbeitet, mit ihr verbindet sie die widerständige Haltung im offiziellen Kulturbetrieb. Vor einem Jahr wurde in Graz beim Steirischen Herbst ihr musiktheatrales Stück "Lost Highway" nach David Lynch uraufgeführt, dieses Jahr ist sie dort mit einem neuen Bild-Text-Musikstück " . . . ce qui arrive . . . " vertreten, das heute Premiere hat.

SZ: In den Texten zum Steirischen Herbst liest man von einer "Raumkomposition, deren dramaturgisches Gesamtkonzept auf dem beständigen Wechsel von Musik, Bild und Sprache beruht". Was darf man da erwarten?

Olga Neuwirth: Manchmal fällt das Wort multimedial, das mag ich gar nicht. Aber es kommt alles zusammen, was mich interessiert: Texte, Literatur, Bilder -- und Musik auf verschiedenen Ebenen. Ausgegangen bin ich von zwei Büchern mit Erzählungen von Paul Auster. In "From Hand to Mouth" fragt er sich, wie ein Künstler heute überleben kann ohne Kompromisse zu machen. Er schildert, wie er, gewissermaßen in einem geteilten Leben, auf einem Schiff anheuert, um dann vom verdienten Geld einige Zeit frei schreiben zu können. Das ist die Situation eines frei bleibenden Künstlers heute. Es gibt keinen festen Grund, man muss sein Leben täglich neu erfinden. Deswegen spielt auf den Filmbildern das Wasser als Symbol für den nicht bestimmten Ort, den "U-Topos" eine wichtige Rolle. Im zweiten Buch "The Red Notebook" werden Situationen erzählt, in denen es um den plötzlich eindringenden Zufall geht. Der Mensch hat Angst vor solchen Zufällen, die sein Leben umkrempeln, aber es gibt kein Entkommen, die Folge solcher Zufälle wird als Schicksal empfunden. Solche Zufälle und das Haltlose der (Künstler-)Existenz, darum geht es in diesem Stück.

SZ: Spielt der Zufall auch musikalisch eine Rolle?

Neuwirth: Er ist Inhalt, aber nicht Materialgrundlage. Auf mein Bitten hat Paul Auster die Ausschnitte, auf die es mir ankam, selbst gelesen. Er macht das ganz monoton, immer um den Ton "d" herum, der auch mein Lieblingston ist. Um den zentriert sich das ganze Stück bis in weite Obertonbereiche hinein.

SZ: Das ist bei Ihnen häufiger Ansatz, so ein Zentralton, den man über weite Strecken gar nicht wahrnimmt, der aber ständig wie eine Achse zugegen ist.

Neuwirth: Ja. Und von da aus gibt es verschiedene Kombinationen. Das Ensemble Modern spielt live zum Film, fast wie in alten Stummfilmen. Sie sind weiß angezogen und fungieren als Teil der Leinwand. Ähnlich vermischt sich auch die Musik mit den Worten Austers. Sie ist einfacher Hintergrund, Kommentar, direkte Begleitung oder ganz eigenständig. Wechselnd und nicht festhaltbar eben. Ich wollte ursprünglich auch den Song "Wovon lebt der Mensch" aus der "Dreigroschenoper" einmontieren.

SZ: Als Zitat einer politisch sich auflehnenden, aggressiven Haltung?

Neuwirth: So ist es, aber die Brecht-Erben waren damit nicht einverstanden. So habe ich auf Texte von Andrew Patner drei Songs im Weill-Stil selbst komponiert, die die Leinwandfigur Georgette Dee im Bild singt -- es gibt in dem Stück keine real auftretenden Darsteller. Es geht in jedem Song um die Zentralfragen des Stücks: Wie verdient man Geld, wie gewinnt man Liebe?

<< SZ: Haben Sie so etwas wie diese Songs schon einmal geschrieben?

Neuwirth: Nur als Bearbeitungen in den Klaus Nomi Songs. Aber eigentlich war das völlig neu. Irgendwann hat man als Komponist sein Material im Griff. Da war das eine ganz neue Herausforderung, diese harmonischen Folgen in kürzester Zeit etwa.

SZ: Gerade haben Sie fast fluchtartig Berlin verlassen wie ein paar Jahre davor Venedig. Fliehen Sie eigentlich, oder suchen Sie nur immer wieder Anderes?

Neuwirth: Beides. Aber es ist sehr anregend, sich immer wieder neuen Situationen und kulturellen Umfeldern zu stellen. So kann man nicht so leicht egoistisch werden. Ich mag wirkliche Großstädte wie Paris oder London, wo verschiedene Menschenbilder nebeneinander existieren. Wien, wo ich gerade wohne, ist das nicht, obwohl sich hier in den letzten Jahren einiges in der alternativen Kultur getan hat. Aber die Enge belastet.

SZ: Ist das der Zorn des Österreichers auf das eigene Land?

Neuwirth: Wir österreichischen Künstler haben die Tradition, das eigene Land zu analysieren. Das kommt aus der Enge hier. Der Künstler wird immer wieder herunter gemacht, jedenfalls, wenn er nicht ins obrigkeitshörige Bild passt. Das hat sich seit der Monarchie kaum geändert. Es ist ein masochistisches, sich selbst hassendes Warten auf den Befehl von oben. Oben spielt man mit den Ängsten und immer wieder auf der Basis von Lügen. Jelinek hat einmal von den guten und den schlechten Ausländern hier gesprochen, je nach Anpassung ans System. Darum freut es mich auch so, dass sie den Nobel-Preis erhalten hat. Denn sie hat nie ihre Haltung aufgegeben.

SZ: Sie sprechen von Lüge. Definiert sich künstlerisches Tun als Gegenwelt zur Lüge? In Donaueschingen wurde gerade in einer Podiumsdiskussion über Wertewandel gesprochen. Wie würden Sie den Begriff sehen?

Neuwirth: Nun, schon die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, die ich immer ganz intensiv suche, gibt den Wert des Miteinander vor. Und dann, da bin ich vielleicht konservativ, ist für mich die Ehrlichkeit des Handwerks ganz wichtig. Das will ich nicht aufgeben. Das wird ja im modernen Musikbetrieb immer mehr an den Rand gedrängt, der Wert ausführlichen Probens miteinander zum Beispiel. Wenn man hier zu viele Konzessionen macht -- und man wird ja von allen Seiten vom Komponieren bis zur Situation der Aufführung dazu gedrängt -- dann braucht man im Grunde gar nichts mehr zu tun.

SZ: Sie haben einmal geklagt über den Aufwand des Musik-Schreibens.

Neuwirth: Ja, das dauert ewig und in einer miserablen Aufführungssituation verwäscht sich dann sogar der Unterschied zum schnell Gemachten. Ich aber möchte als Komponistin von meiner Seite alles getan haben, auch um mich nicht selber anzulügen.

SZ: Ihr Mittel gegen die Lüge?

Neuwirth: Die Kunst, wie ich sie verstehe, muss sichtbar machen, sie muss aufzeigen und Haltung haben. Darum meine Jelinek-Freude. Und noch etwas sollte Kunst leisten: Sie sollte irritieren. Die allgegenwärtige Lüge nämlich soll nicht irritieren, sie dient dafür, die Machthierarchien zu bewahren. Hier hat die Kunst ihren Platz als Gegenpol.

Reinhard Schulz

erschienen in:
Süddeutsche Zeitung, 21.10.2004